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durst

durst in grossauheim

11 | 03 | 2009 | 8.Großauheimer Kleinkunstabend

Ich lese nun aus der Story „Durst!“ des irischen Dichters Flann O’Brien (1911 bis 1966). Allerdings sehr sehr frei erzählt. Er möge mir verzeihen.
***
Ach übrigens, Haben Sie alle genug zu trinken? Bitte sorgen Sie für sich, es ist ratsam! Wenn Sie sich noch schnell etwas holen wollen, warte ich eben noch einen Moment.
***
Liebe Leute, der Winter in diesem Jahr war ja ganz schön heftig.
IHR SAGT: Na ja, jetzt ist der Sommer nicht mehr fern.
Der Sommer?

Hört mir auf mit Sommer. Ich bin aus meiner arabischen Heimat ja schon einiges gewohnt. Sonne und Hitze - das ist für mich das gleiche wie Eis und Schnee für den Eskimo. So etwas kann mich nicht schrecken.
...Dachte ich.
Erinnert Ihr euch noch an den Jahrtausendsommer 2003?
Diese Sommermonate damals waren so heiß, daß ich nicht einmal mehr im Swimmingpool meines Wüstenpalastes schwimmen konnte. Das Wasser war wie Suppe.
Ich dachte, heißer könne es nicht werden. Und dann...
... Dann kam das schrecklichste Erlebnis meines Lebens ... ich mußte auf Geschäftsreise in das Abendland, hoch in den Norden, nach Großauheim!
IHR FRAGT:  Heiliger Strohsack, Großauheim, wo ist denn das?Großauheim! Habt ihr denn noch nie von Großauheim gehört?
Dort war ich und habe das Schlimmste erlebt, so schlimm, daß ich es meinen ärgsten Feinden nicht wünsche. Dieses Großauheim ist ein Ort, wie es keinen zweiten auf der Welt gibt.
Auf den ersten Blick ein Kaff wir jedes andere. Aber man täuscht sich, man täuscht sich!
IHR FRAGT: War es dort denn heißer als bei uns?
Habt Ihr „heiß“ gesagt?
Ich glaube nicht, daß es vorher oder nachher jemals wieder eine solche Hitze gegeben hat.
Ich kann sie immer noch spüren, die glühende Sonne damals, dort in Großauheim.
Ich dachte, die Hitze im Taxi, das mich vom Flughafen herbrachte, sei schon schlimm genug - und das war sie ja auch -, bis ich ankam!
Das erste, was ich spürte, als ich aus dem Taxi stieg, war ein Riesenstrom heißer Luft, der mir in die Nase jagte. Die Hitze knallte aus der Erde empor wie Rauch aus einem Motor.
Die Luft war so dünn und so heiß, daß man gar nicht mehr merkte, wie man sie einatmete.
Sie war ... gestreckt, ...falls ihr versteht, was ich meine.
Ver­dünnt durch die Hitze, die aus dem Boden und aus dem Himmel und von allen Seiten auf die Luft eindrosch. Sie war getrocknet, da war überhaupt keine Feuchtigkeit mehr drin ... wie in einer verschrumpelten Erbse.
Es war, als steckte man den Kopf in einen Backofen und atmete tief ein.
JA, DA SAGT IHR:  Das würde euch aber gar nicht gefallen. So schlimm das Wetter in Arabien ist - besser als dort ist es allemal.
Ach, Ihr habt noch nicht mal die Hälfte gehört, nicht mal die Hälfte.
Ich war noch voll damit beschäftigt, nach Luft zu schnappen, da kam etwas Entsetzliches dazu!
Kaum aus dem Taxi herausgekrochen, stand ich vor geschlossenen, rot-weiß gestrichenen Barrieren. Die rote Farbe dieser Schranken warf Blasen und tropfte auf den glühenden Asphalt herab, wo sie sich mit einem Zischen in einer glutfarbenen Wolke auflöste.
Es dauerte gefühlte Stunden, bis eine Eisenbahn vorbeischlich. Mit aller Vorsicht, denn die stählernen Schienen begannen bereits, sich in der Hitze zu biegen und zu winden wie Würmer im Hochofen.
Und ich stand die ganze Zeit vor der Schranke wie eine Statue.
Also ... ich war vom langen Stehen schon müde, falls ihr wißt, was ich meine ...,
und ich wollte deshalb das Gewicht vom einen auf den anderen Fuß verlagern.
***
Und was glaubt ihr, was jetzt kommt?
was glaubt ihr, was jetzt kommt?
Mein Fuß klebte fest.
Klebte am Boden fest.
Ich stand wie ein Soldat meiner Palastwache vor der Schranke angetreten - und konnte mich nicht rühren. Bei Allah, das war grimmig! Grim‑mig!
Ich hatte Tropenstiefel mit Gummisohlen an, und das ganze Gummi schmolz direkt unter mir.
Habt Ihr  schon mal aus Versehen ein Stück Gummi ins Feuer geworfen? Der Gestank könnte einem wahrlich die gesamte Nase zerstören.
Ihr hättet mich sehen sollen, als sich die schrecklichen Schrankendinger dann endlich hoben.
Wißt ihr, wie das war?
Habt ihr jemals eine Fliege gesehen, eine Fliege, die versucht, von ihrem Fliegenpapier herunterzuklettern?
Genau wie eine Fliege auf Fliegenpapier. So stand ich da.
Die Gummisohlen schmolzen weiter ... und stießen kleine Rauchwölkchen aus.
Bald wurden mir die Füße geröstet wie Rindfleisch über einem offenen Feuer!
Und jedesmal, wenn mir die Hitze wie ein Dolch in die Füße stach, sprang ich vor Schmerz in die Luft.
Aber wenn ich auf den Asphalt zurückkam, wurde ich vom Gewicht des Sprunges noch heftiger geröstet ... die Funken stoben nur so rum, links, rechts, drunter und drüber.
So hüpfte ich wie ein Feuerteufel über den Bahnübergang.
Ich schäumte vor Schweiß, mein Kaftan klebte mir an der Haut, und die Zunge hing mir heraus wie einem Hund.
IHR DENKT JETZT,  ihr könnt euch vorstellen, daß es mir an diesem Tag auch weiterhin ziemlich schlecht ergangen ist?
Schlecht ergangen? Habt Ihr SCHLECHT ERGANGEN gesagt?
Habe ich denn nicht...
Habe ich denn noch nichts von den BRUNNEN erzählt?
Pause.
Ich bin ein Sohn der Wüste und Durst ist mir nicht fremd.
Aber was mich schon nach kurzer Zeit in diesem Hochofen wie ein wilder Löwe anfiel, war kein normaler Durst, das war ein mörderischer Brand!
Wie froh war ich, als ich dort auf dem Bahnhofsvorplatz einen Brunnen entdeckte.
Mit wenigen Sprüngen war ich an der gemauerten Zisterne und wollte meinen Kopf in das kühle Naß stecken.
Doch ich blickte in einen staubigen Höllenschlund.
Die vermeintliche Wasserstelle war trockener als die Sahara. Ein leeres Loch, ein Scheinbrunnen.
Genau so war es. Ich werde es nie vergessen. Solang ich lebe. Nie!
Pause.
Und wißt ihr, was während dieser ganzen Zeit geschah?
Pause.
Na, ich werde euch sagen, was geschah.
Jedes Bißchen von mir fing an zu vertrocknen und zu verdorren.
Das erste, was nicht mehr klappte, waren Zunge und Mund.
Meine Zunge wurde trocken und bekam Risse. Und dann wurde sie ... größer!
Sie schwoll an, bis sie mich fast erstickte, und wurde so hart und trocken wie ein großes, glühendes Stück Schlacke. Mit dieser Zunge konnte ich nicht mehr schlucken!
Mein Leib vertrocknete und verdorrte und wurde so runzlig wie... eine Backpflaume!
IHR: Allah stehe zwischen uns und allem Unheil!
Es war wie auf dem Grill - nur ohne Sauce.
IHR: könntet euch vorstellen, daß die Augen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Die Augen ... Die Augen wurden allmählich an den Rändern versengt und verbrannt. Und darüber hinaus trocknete der wäßrige Teil in einer Weise aus, die man getrost als beängstigend bezeichnen kann. Pause.
Dazu wirkte meine Brille wie ein Brennglas. Bevor ich wußte, wie mir geschah
... waren die Augenbrauen weg!
Pause.
Von der Hitze ausgedörrt und abgeflämmt - : Die Hölle als solche.
Und  das Allerschlimmste:
Aus meinem Halse kam ein heißer, trockener Dunst, wie die Stichflamme aus einem Hochofen. Die Lage, oh Allah, sie war verzweifelt.
Ver. Zwei. Felt.
Pause.
Wißt ihr, was ich zuallererst tat?
Pause.
Ich habe mir die Feldflasche vom Leib gerissen - und in hohem Bogen weggeworfen.
Und wißt ihr, warum? - Wißt ihr, warum?
Pause.
Ich werde euch sagen, warum.
Die Feldflasche war aus Metall hergestellt. Aus irgendeiner Art von Anumilli­jurn — Anumillijum, so dünn wie Papier.
Als die Sonne erst mal angefangen hatte, auf das Metall einzuwirken, erreichte das Wasser darin fast den Siedepunkt. Selbst wenn ich die Flasche in der Hand hätte halten und öffnen können, hätte mir das Wasser darin nichts ge­nützt - denn es hätte mir die Kehle verbrüht.
Es gab nur eins, was ich mit der Flasche machen konnte: ich mußte sie loswerden!
Egal, was passierte.
IHR:  War das nicht furchtbar? Eine Flasche voller Wasser wegzuwerfen? Mitten in dieser Höllenglut?
Genau. Aber was will man machen. Was will man machen?
Pause.
Nun, In dem Ort war wegen der Hitze alles verrammelt:
die Fensterläden geschlossen, die  Rolläden unten. Keine Menschenseele war zu sehen.
Nicht mal ein Hund jaulte irgendwo. Dazu war es Mittwochnachmittag.
- Ihr hier wißt, was das bedeutet!
Es war entsetzlich. Da war ich, verloren in dieser bösartigen, bleiernen, brühenden Bums-Hitze. Und die Haut fiel mir in Flocken und Spänen vom Gesicht.
Pause.
Plötzlich erblickten meine brechenden Augen ein Hinweisschild:
„Zur Schule am Brunnen“
Dorthin war es nur ein Marsch von ein paar hundert Metern, aber es war der dreckigste, verschwitzteste, klebrigste und trockenste Marsch meines Lebens.
Ihr alle hier wißt, was mich dort erwartete.
Dort stand ein weiterer dieser grauenvollen Trockenbrunnen und darauf eine wie zu Salzsäulen erstarrte Herde armer Pinguine.
Traurige Wasservögel, die die einheimischen Barbaren dort auf glutheißen Kochplatten angeschraubt hatten.
Und kein Tröpfchen Wasser weit und breit. Kein Tröpfchen!
Pause.
Ich war am Ende. Mein Fleisch dörrte dahin. Mein Hirn war wie ein ausgetrockneter Schwamm. Ich brach zusammen wie ein sprödes Haus aus uraltem ... Knäckebrot.
***
Plötzlich holte mich ein Rütteln an meiner Schulter zurück in die brütende Hitze.
In der flirrenden Luft erkannte ich einen Mann, der sich zu mir beugte und fragte:
„Wasn los?“
Aus meinem Schlund kam nur ein staubtrockenes: „Brrrrnnnn!“
Das genügte ihm. Mit einem:  
„Brunnen? - Ei klar, komm mit!“ half er mir auf.
Willenlos stolperte ich hinter ihm her. So trocken wie ein Ziegel, und die Zunge in dem verdorrten Maul so angeschwollen, daß sie mich halb erstickte.
Und dabei...der...Durst!!! Allah, der Durst!!!
***
Unerbittlich zog mich der Fremde durch die Mittagsglut, bis wir -vorbei an weiteren Trockenbrunnen in der Langgasse, der Steinwingert- und der Krotzenburgerstraße den Rand dieser elenden Siedlung erreichten.
Dort geschah das Unglaubliche - meine halbverkohlte Nase schnupperte plötzlich:
WASSER!
Mit letzter Kraft wollte ich der rettenden Oase entgegen kriechen, doch der Ureinwohner hielt mich entschieden zurück und verkündete mit großer, pathetischer Geste:
„Es Herjersbörnche!“ (Der Hergerswiesenbrunnen)
Mit verklärtem Gesichtsausdruck verweilte der Mann endlose Sekunden lang, bevor er mich freigab. Und tatsächlich: Dort, zwischen einem abgefackelten Papierkorb und einer verkohlten Ruhebank, gluckerte und sprudelte Quellwasser in dünnem Strahl nach oben.
Ich wollte meinen vertrockneten Leib auf den Boden werfen, um ihn mit dem köstlichen Naß zu tränken - da riß mich seine eiserne Hand zurück:
„Um Himmels Willen, doch nicht trinken! Das ist Auheims Heilige Quelle!“
***
Aus mir wich die Luft wie aus einem Heißluftballon.
Pause.
Aus weiter Ferne hörte ich die Stimme des Auheimers:
„Ach so, Du hast Dorscht - Ja, Hättste was gesacht!“ -
Dann ging alles ganz schnell: mein Retter rannte rasch über die Straße zur Tanke hinüber und kam von dort mit einem Sixpack zurück.
Pause.
So wurde ich gerettet.
***
Das ist nun schon sechs Jahre her. Und immer noch bin ich diesem Ort traumatisch verbunden. In mir ist eine große Anerkennung meinem Retter und seinem Großauheimer Volk gegenüber.
Grund meiner Geschäftsreise damals war es, bei euch im Abendland neue Investitionsmöglichkeiten zu finden. Jetzt ist die Zeit der Dankbarkeit gekommen.
Morgen werde ich den Oberscheichs eurer Stadt ein Angebot machen, für das sie alle Züge fahren und auch die Wildpferde laufen lassen.
***
Ich plane auf dem ehemaligen Großauheimer Exerzierplatz ein Freigehege mit Zuchtstation für meine edlen Kamele, um sie hier in Europa anzusiedeln. Alles spricht dafür:
1. Diese genügsamen Tiere kommen sehr sehr lange ohne Wasser aus
und:
2. Auf ein paar Kamele mehr in dieser Stadt kommt es außerdem auch nicht mehr an.
Und übrigens: Kamele sind mit die liebenswertesten und intelligentesten Geschöpfe, die es auf Erden gibt!
In diesem Sinne also: Prost! und trinken Sie mir genug - jeden Tag mindestens 3 Liter!

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