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Weihnachtsmärchen 1998

12 | 12 | 1998
Und es begab sich zu der Zeit, daß ein Engel zur Erde gesandt werden sollte, um von Großem zu künden. Wie schon einmal fast 2000 Jahre zuvor. Der Engel war sehr aufgeregt, denn es war für ihn der erste große Auftrag dieser Art. Zwar hatte er schon einige Geschichten über seinen Ahnvater gehört,der die gleiche Aufgabe vor langer Zeit bravourös gelöst hatte, doch beruhigte ihn das keineswegs. Im Gegenteil: diese Bürde ließ seine goldenen Engelsflügel ganz schwer werden. Aber er war jung und strahlend. Und als er in der himmlischen Bekleidungskammer ein schickes, blütenweißes Wallegewand erhielt, war er vollen Mutes. Gleich nach dem Frühstück begab er sich auf den Weg zur Erde. Doch da unten war alles anders. Nicht nur, daß die Engelsflugkarten nach Jahrhunderten wahrlich nicht mehr dem neuesten Stand entsprachen. Nein, es gab da inzwischen auch mehr als nur die drei Könige, mit denen es sein Ururgroßvater zu tun gehabt hatte. Tausende von Kaisern, Präsidenten, Fürsten und Häuptlingen herrschten inzwischen über mehr oder weniger große Erdstückchen, auf der ganzen Planetenkugel verteilt. Jedem dieser wichtigen Menschen auch noch zur gleichen Zeit die Frohe Botschaft zu überbringen, war gar nicht leicht. Aber für austrainierte Engel kein Problem. So gelang das also. Als am nächsten Morgen Bill Clinton, Boris Jelzin, Margret Härtel und alle anderen Herrscher der Welt erwachten und die Augen aufschlugen, war in ihnen ein intensiver Traum,den sie in der Nacht gehabt hatten. Darin war ihnen ein strahlender Engel erschienen, der von einem neugeborenen Kinde erzählte. Er trug ihnen auf, das Baby zu suchen, ihm zu huldigen und die Patenschaft zu übernehmen. Denn dieses Kind löse alle Rätsel und Probleme der Welt. Es sei leicht zu finden: über dem Geburtshaus dieses einzigartigen Kindes strahle ein heller Stern, der den Weg weisen würde. Völlig unabhängig voneinander packten nun die Mächtigen der Erde die Reisetaschen, ließen ihre Chauffeure vorfahren, sprangen in Hubschrauber, dampften über die Meere. Auf der Suche nach dem wegweisenden Stern. Doch es war Weihnachtszeit. Und überall in den großen Städten und kleinen Dörfern hatten die Menschen ihre Behausungen geschmückt. Bunte Sterne, strahlende Lichterketten, blinkende Weihnachtsmänner erhellten die Adventszeit bei Tage und zur Nacht. Da war es schwer, den echten vom falschen Stern zu unterscheiden. Dies bedrückte die Hoheiten jedoch nicht im geringsten. Sie hatten eine Vision und waren, wie immer, überzeugt von ihrem Vorhaben. Keine Frage: der Stern, dem jeder für sich folgte, war der einzig Richtige. Und so dachten alle. Die Menschen auf der Erde beobachteten verwirrt, wie ihre Herrscher ausschwärmten. Scheinbar ziellos, in alle Himmelsrichtungen und mit einem seligen Glanz in den Augen. Jeder Kaiser, König, Fürst und Präsident folgte seinem Stern. Und da  jeder einem anderen Stern folgte, sah man die Mächtigen in alle Winkel der Erde ziehen. Am Weihnachtsabend kamen alle pünktlich am Ziel ihrer Reise an. Dort fanden sie in hellem Sternenlicht in einer Villa, einer Hütte oder einem Zelt ein neugeborenes Kind. Mal lag es in einem Federbett, mal auf einer Strohkrippe, mal unter einem Eisbärenfell. Mal war das Kind gelb, mal rot, mal hatte es weiße, mal schwarze Haut. Und überall auf der Welt wurden die neuen Erdbewohner mit Gaben und Geschenken bedacht. Die Mächtigen der Erde wurden ihre Paten und versprachen ihnen ein gutes, glückliches und sorgenfreies Leben in Frieden und Gerechtigkeit. Und als Dank für ihr großherziges Denken und  Verhalten bekamen alle Regenten, Herrscher und Monarchen von den neugeborenen Kindern ein kleines Stückchen Hoffnung mit auf den Nachhauseweg. => zurück zur auswahl

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