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der vollstrecker

15 | 02 | 1999
Der Vollstrecker droht mit Richtbeil
Närrische Aktion mit ernstem Hintergrund: Großauheimer Gewerbeverein schickte gestern Engel undTeufel ins Rathaus
Hanau-Großauheim (ed). - Mit Engel und Henker, mit Zuckerbrot und Peitsche, ist gestern der Vorstand des Großauheimer Gewerbevereins ins schon närrisch schunkelnde Büro der Oberbürgermeisterin vorgedrungen. Während die Mitarbeiter sich an Sekt, Bier und Leberkäse labten, fürchtete die Chefin im Dienstzimmer um ihr Leben. Ernster Hintergrund des Narrenspektakels: Noch immer schwelt zwischen Rathaus und Gewerbeverein Streit um die Höhe der Kosten, die das Tiefbauamt für Absperrungen zum weihnachtlichen Rochusmarkt vor gut einem Jahr berechnete.
Als schwarzgekleideter Henker mit Zylinder und Beil las Schriftführer Jürgen Weiß der Oberbürgermeisterin die Leviten. Gudrun Baumgärtel richtete als Engel die ob der Drohungen erblaßte Margret Härtel mit einer Packung Knäckebrot wieder auf. Nochmals vom Beil verschont, sagte die Rathauschefin zu, sich um eine Lösung des Problems erneut zu bemühen. Der Hanauer Anzeiger druckt nachfolgend des Henkers Rede:
Fastnachtdienstag 1999, Engelchen und Teufel bei der OB
Margaretha Härtel, Du oberste Meisterin aller Bürger dieser Stadt,
es ist ernst. Gar zu lange schon beäugen wir Dein Treiben und das Deines Gefolges. Immer wieder müssen wir Niederen aus den Vororten Deines Reiches uns erheben, um nicht in dunkle Vergessenheit zu geraten. Zwar preisen wir auch Deine stete Huld, uns gnädig zu empfangen, doch heute ist es ernst.
Alle Welt erinnert sich noch gut an die Geschehnisse zum Großauheimer Rochusmarkt  im Endseptember des verronnenen Jahres, wo die Freien Häupter des Gewerbevereins von den Bütteln der Stadt in Fron und Knechtschaft gezwungen werden sollten. Nur durch Zahlung eines Zwangsablasses konnten wir uns den Häschern der Stadtverwaltung entwinden.
Das war sehr ernst.
Selbst unsere Enkel und Nachfahren werden sich noch erinnern, daß seinerzeit zur Errichtung von 17 Barrikaden und 19 bunter Totempfähle, 2 beherzte Männer des Tiefbauamtes unter Einsatz ihres Könnens und eines Lastkraftwagens   44 Stunden ihres Lebens einer guten Sache opferten. Sie blockierten Hanaus Hauptstraße, -die selbstverständlich in Großauheim liegt-, und schufen Raum für den weihnachtlichen Rochusmarkt. Getreu der Obhutspflicht ihrer Bediensteten gegenüber hielten sich Deine Sachwalter, oh Oberbürgerin Margaretha, an die edle Maxime, daß gutes Werk auch fürstlich belohnt werden müsse. So befanden sie, daß der Gewerbeverein fast 5.400 Taler zu entrichten habe.
Das war bitterernst. Uns armen Großauheimern half kein Bitten, Betteln oder Flehen. Weder Gnade noch Einsicht konnten die Mächtigen Magister zum Einlenken bewegen. Wir mußten unsere Taschen leeren. Doch die guten Auheimer Menschen, für deren Recht und Ehre wir hier angetreten sind, verzagen nie. Geknickt, doch nicht gebrochen, nahmen sie nun zur letzten Weihnachtszeit die Wegessperrung selbst in die Hand und fanden im kurfürstlichen Mainz einen weithin anerkannten Hürdenbauer, der gerade jetzt jenseits des Rheines närrischen Umzügen freie Straßenbahn verschafft.
Und ganz im Ernst: Dessen Schaffen war ohne Fehl, auch die kritischen Spezialisten der Straßenbehörde anerkannten dies. Groß jedoch war unser Erstaunen, als wir ihm den Obolus entrichten wollten: Mit 858,40 Mark war’s ihm schon gedankt!
Das hat der  wirklich ernst gemeint! Der Freude voll teilten wir dies unserer regina localica Margaretha mit, die Ihrem Kämmerer so zukünftig sicher einen gewaltigen Batzen des Stadtschatzes würde wahren können. Bei den vielen Straßenfesten und Platzrummeln, die unsere aufstrebende Metropole das Jahr über so beleben, wohl eines Gedankens wert.
Das meinten wir ernst. Doch wie unendlich tief war der Graben der Enttäuschung, in den uns vergangene Woche eine Depesche des städtischen Oberbaumeisters stürzte.
Voller Ernst: Er lobte und pries uns zwar für die treffliche Wahl, zog jedoch selbst keine gemeinnützigen Schlüsse. Und unsere zurückgeforderten 1.740 Mark wollte er schon gar nicht mehr hergeben.
Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein! Allwöchentlich wird in Hanau irgendwo gefeiert, vermarktet, umgeleitet. Und dieses Treiben geht stets einher mit dem Aufforsten und Abholzen von Schilderwäldern. Was da öffentliche Kräfte und Moneten gebunden und geknebelt werden!
Nun ganz im Ernst: Der Bauderzernent beglückwünscht uns zwar zu unserem günstigen Anbieter, richtet aber die städtische Kalkulation weiterhin an den Angeboten anderer Unternehmen aus, die für’s Gleiche fast 5.600.-- Deutsche Mark oder 2.800.-- Euro haben wollen. Da wird im Magistrat eine Argumentationsleiter aufgestellt, die wir nicht hochklettern möchten. Zuviele morsche Stufen. Ist es nicht gerechtfertigt und nur konsequent, das Thema „Straßensperrung“ intern neu anzugehen und zu überdenken? Jede Möglichkeit, unserer Stadt Kosten zu ersparen, sollte doch genutzt werden. Und nochmals wiederholen wir unsere alte Forderung nach einem Preiskatalog der städtischen Leistungen, die entweder zu marktgerechten Preisen angeboten, oder eben der freien Wirtschaft preisgegeben werden. Zum Nutzen der Vereine, der Gewerbetreibenden und auch der städtischen Behörden. Schafft Planungssicherheit und dadurch kalkulierbare Kosten für alle!
Jetzt  wird’s ernst: Oh, holde Margaretha, für solch schändliches Tun muß nun endlich jemand den Kopf hinhalten. Und den wahrlich lieblichsten im Kreise der Stadthäuptlinge trägt nun mal unsere Oberbürgermeisterin auf ihrem zarten Halse. Doch Halt!
Jetzt nicht gleich weinen und alles so tierisch Ernst nehmen!
Wir sind doch Großauheimer: zwar unerbittlich in der Sache und unbeugsam, wenn es um Freiheit und Gerechtigkeit geht, - aber doch auch unendlich lieb und mit großem, friedbebendem Herzen. So kommt es, daß mir finsterem Vollstrecker das gruslige Werk verwehrt wird: Das liebreizende Engelchen hier: zart, sanft und still, zeigt uns die wahre Seele der Großauheimer. Ganz himmlisch, aber bestimmt, verbat es mir jedes wüste Richten. Eine „Kopf-Ab-Mentalität“ ist uns fremd. Denn nicht in Fehde, sondern nur Arm in Arm gelangen wir zu höheren Weihen. Und da wollen wir doch alle hin! In Wahrheit sind wir Großauheimer nämlich alle Engel und grobes Tun ist uns ein Graus.
Im Ernst! Alles, alles, alles wird sich von nun an zum Guten wenden.
Wir ziehen jetzo wieder ab. Wohlwissend, daß ihr heute nochmal Verschonten und Davongekommenen hier im Rathaus uns Auheimern auf Ewiglich verbunden seid. Kein falscher Gedanke wird mehr durch Eure Hirne ziehen, keine schröckliche Verordnung wird uns mehr auf unserem Weg zum Ziele bremsen.
So sei es denn voller Ernst gesprochen! Edle Margrete, die gerade erlebte Angst um Leib und Leben bleicht noch immer Deine Wangen. Das soll nicht sein. In früherer Zeit hätten wir jetzt zur aufbauenden Stärkung eine Auswahl feinster Pralinen angeboten, doch Formen und Zeiten ändern sich. So gibt es zur Erbauung unserer Oberbürgermeisterin eine Packung kräftiges Knäckebrot. Nicht schlabbrig-weich und inhaltsarm wie ein Hamburger, sondern gesund, knackig, dauerhaft haltbar und voller wertiger Ballaststoffe wie ein Großauheimer. Nur beim Beißen krachts ganz laut und zum Erschrecken. Aber man weiß ja, daß es nicht böse gemeint ist. => zurück zur auswahl

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