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fachwerk

in auheim steht ein fachwerkhaus...

07 | 09 | 2005
und das seit vielen hundert Jahren. So lange schon, daß kein Mensch mehr weiß, wann damals der Bauantrag gestellt wurde. Doch allzu viel ist vom Häuschen nicht mehr übrig: Entkleidet und bloßgestellt reckt es seit Monaten sein klappriges Gerippe in den Großauheimer Himmel. Es ist zum Jammern und Erbarmen. Nun ist der Großauheimer ein mitfühlendes Wesen. Schon bald, nachdem das Gewerk teilweise entkernt und von uralter Lehm- und Kuhmistfüllung befreit war, machte er sich seine Gedanken. Und dank erprobter Auheimer Streitkultur knackte es bald gewaltig im Gebälk: „Huch, die Holzgefache sind hinüber, wer hätte das gedacht? - Da muß restauriert werden!“ - „Eben deshalb gehört das klägliche Restskelett in die Bio-Tonne“.
Da spielt es keine Rolle, ob das Häuslein nun Gemeingut, oder, wie in diesem Fall, Privatbesitz ist. Auheimer sind grundsätzlich meinungsstark. Die einen sagen: es ist ein historisches Bauwerk und das vielleicht älteste Haus in Großauheim. Die anderen nennen es Bruchbude und fordern Sprengung und freien Blick auf die Jakobuskirche.
Der Ortsbeirat beschloß mit Mehrheit, das Gerippe abzureißen und dann auf Ground Zero eine August-Gaul-Gedenkstätte zu errichten, wenn die Denkmalschützer mitspielen. (Am Parkplatz Alte Schule, mit dem Gaul’schen Geburtshaus in der Nachbarschaft).
Die Außerparlamentarische Opposition forderte fachgerechte Sanierung. Sprachgewaltige Auheimer beharkten sich im Heimatblättchen mit Leserbriefen.
Das alles ist schlechtes Timing und nicht mit der Geschichte abgestimmt: Im nächsten Jahr begeht Großauheim seinen 1200ten Geburtstag. Da wollen wir uns doch mit den wenigen historischen Gebäuden, die unsere Gemeinde noch vorweisen kann, schmücken. Und dann an markanter Stelle im Ortskern ein solches Bild von Verfall und Verwesung! Gar nicht gut. Was also tun?
Erstmal nichts einfacher, als beschließen und fordern. Das ist legitim und sinnvoll, wenn es um öffentliche Gebäude und Plätze geht. Da kann und muß die Stadt Hanau bis zur großen Feier noch einiges tun. (Und endlich mal anfangen! - Das inzwischen begonnene Kreuzungsprojekt Bahnhof/Hauptstraße lag seit über zehn Jahren in den Schubladen diverser Hanauer Bauräte und zählt nicht.)
Delikat wird es aber, wenn eine vermeintliche Fehlinvestition eines optimistischen Hauskäufers mit Steuergeldern abgefedert werden und das Problem durch Ankauf der Stadt weitergegeben werden soll. Zu welchem Marktwert eigentlich? Marode Schlösser wechseln manchmal für einen symbolischen Euro den Besitzer. Allerdings mit klarer Sanierungsauflage. Darüber ließe sich reden. Aber tabula rasa für eine Gaul-Gedenkstätte? Ehre, wem Ehre gebührt. Doch bitte nicht vergessen: Warum gibt es auf dem Rochusplatz keinen Entenbrunnen mehr und warum miaut die Löwin einsam im Museum? Es gibt leider Mitmenschen, die mit Tierschutz nicht viel am Hut haben und sich sogar an wehrlosen Bronzegußkreaturen vergehen. August Gauls künstlerische Größe zeigt sich nicht in einem Gedenkstein, sondern  in seinem Werk. Und wo kann man das besser und umfassender präsentieren, als im demnächst komplett erneuerten Großauheimer Museum? Hier sollte genügend neuer Raum geschaffen werden, um dem im Hanauer Schloß-Exil ausgelagerten Gaul’schen Tierpark endlich wieder eine artgerechtes Zuhause zu bieten.
Schwere Zeiten. Da hilft nur bitten und betteln. Aber auch Unterstützung und Aufklärung sind nötig: Wenn einem alten Fachwerkhaus plötzlich Alu-Fenster eingestemmt werden, so ist das nicht unbedingt böser Wille des Eigentümers. Vielleicht wußte er es nicht anders. Es gilt, ein „historisches Bewußtsein“ zu schaffen, um zu verhindern, daß immer noch alte Mauern  durch Betonwände ersetzt werden und Scheunen zu Flachdachgaragen mutieren.
Wie es wohl mit dem Pfarrgassen-Fachwerk weitergeht? Wenn beim Mikado das falsche Stäbchen entfernt wird, bricht das ganze Gebäude zusammen und das Spiel ist aus. => zurück zur auswahl

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