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Erwischt!

04 | 05 | 2004
Ich bade im Schweiß: was für ein schlimmer Traum! Ein Verteidigungsminister, ein Bundesbankpräsident, eine Oberbürgermeisterin - geächtet und in Büßergewändern. Gut, sie haben’s ja verdient, die Bösen. Aber warum hat es jetzt mich erwischt? Nicht genug aufgepaßt? Zu dumm zum Schummeln? Schlechtes Gewissen? - Nix von alledem: Ich weiß nicht, wie mir geschieht, bin die Unschuld selbst. Aber wirklich!
All’ die vielen Freunde und Bekannten, die mir bisher immer so wohlwollend und anerkennend auf beide Schultern geklopft haben, knallen mir nun eiskalt und ungebremst eine vor den Latz. Völlig überraschend, wie aus heiterem Himmel. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Hab’s doch immer nur gut gemeint!
Unglaublich, was man mir derzeit alles um die Ohren klatscht: mangelndes Unrechtsbewußtsein, egoistische Vorteilsnahme,  ungeniertes Herumprassen in Zeiten allgemeiner Not! Gerade ich, der ich immer für Sitte und Anstand eintrete, bin nun Mr. Unmoral persönlich. Oh, wie tut das weh. Ja, wenn es nur bei der gesellschaftlichen Ächtung bleiben würde. Da schleicht ein grauer Herr mit Aktentasche um mein Häuschen herum und murmelt etwas von: „Nichtversteuerung Geldwerten Vorteils“. Das muß der Vollstrecker vom Finanzamt sein. Mich bekommt er nicht zu Gesicht: Seit die rasenden Reporter der Sensationspresse mein Anwesen belagern, setze ich sowieso keinen Fuß mehr vor die Tür. Die Rolläden bleiben unten. Ich gehe in mich, doch noch immer finde ich keine Schuld an mir!
Zum Wohle der Gemeinheit werden oft große persönliche Opfer gebracht. Das wird von der Öffentlichkeit gerne übersehen. Viel lieber wird mit Empörung und Entrüstung auf Unschuldige eingeschlagen. Und so geschah es auch mir: ein paar Schluck spendiertes Festbier waren der Grund meiner heutigen Verdammung. Asche über mein Haupt, ich habe mich bedenkenlos und ohne Gegenwehr alkoholisieren lassen und dabei zu keinem Zeitpunkt ans Bezahlen gedacht.
 Es war vor vier Jahren, es war Freitag und es war Rochusmarkt in Großauheim. Die weiland oberste Vertreterin unserer herrlichen Stadt (ihr Name tut jetzt nichts zur Sache, nennen wir sie einfach: Die Sonnenkönigin) und ihr Gefolge waren aus dem Rat-Häuschen. Das Volk huldigte ihr, feierte sich selbst und den schönen Tag.
In dieser Stimmung aus Euphorie und Rausch kam es zu meiner unverzeihlichen Verfehlung. Die Sonnenkönigin ergriff von meinem Arm und mir Besitz, zerrte zu einem Bierwagen und nötigte mich, am hellen Nachmittag mit ihr ein ebenso Helles abzuzischen. Ja, das sind die schweren Pflichten derer, die als Funktionäre, Würdenträger oder Vorsitzende in vorderster Front stehen. So was dankt einem niemand, Herrschaften!
Wie so oft  hatte die Sonnenkönigin ihre Schatulle im Rathaus gelassen. Die großzügig geworfene Runde ging also mit einem „Die Stadt  vergelt’s“ an den fassungslosen Auheimer Wirt zurück. Was hab ich denn getan? Wem wurde denn Schaden zugefügt? Dem darbenden Steuerzahler? Der leeren öffentlichen Hand? Wohl doch nur einem Kneipier, der sich glücklich schätzte, so illustre Gäste bewirten zu dürfen. Und bei den vielen Hektolitern Tagesumsatz an Rochusmarkt-Bier spielen die paar Tropfen Geschnorrtes doch keine Rolle. Oder? Soll wirklich mein Kopf rollen? Muß ich tatsächlich allen Ämtern entsagen? Mache ich denn nicht bloß einen Schritt beiseite, um nur andere nach vorn zur Theke durchzulassen? Überhaupt, will nicht jeder von uns Freibier? Sollten wir nicht alle zurücktreten? Wer also unter uns ohne Durst ist, der mache den ersten Schluck!
(Dies ist eine Glosse. Ähnlichkeiten  mit lebenden Personen oder Geschehnissen sind  rein zufällig, völlig unbeabsichtigt und nicht im Sinne des Autors. Er fühlt sich frei von etwaiger Schuld).
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