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stacheldraht

Stacheldraht auf dem Rochusplatz

21 | 10 | 2002
Großauheimer Alpträume
Meinem Gesuch um Audienz bei Hanaus Oberbürgermeisterin war gnädigst stattgegeben worden, ein Termin zum Vorsprechen bei Hofe wurde gewährt. Mit dem festen Vorsatz, dem umfassenden Charme und der mächtigen Rhetorik unserer Ersten Bürgerin zu widerstehen, plante ich, tapfer von den Nöten der vielgeprüften Untertanen im Osten Hanaus zu berichten. Ich wollte Königin Margarete auf die Misere der Großauheimer Trockenbrunnen ansprechen, die Aufnahme der historischen Bahnübergänge in das Weltkulturerbe beantragen und auch mal nach dem Befinden unserer Auheimer Löwin fragen. Das arme Tier wird ja noch immer artfremd im Hanauer Schloß gehalten!
– Soweit mein Vorhaben. Ich beschloß, den öffentlichen Nahverkehr nutzen und damit Umwelt und Hanauer Straßenbahn Gutes zu tun. Also stand ich artig an der Bushaltestelle am Rochusplatz und ließ meine Blicke wohlgefällig über den Großauheimer Mittelpunkt schweifen. Sah das Kreuz des Heiligen Rochus, dem die Welt verdankt, daß vor ewigen Zeiten nicht alle Auheimer von der Pest geholt wurden. Erblickte den Grenzstein, den Eingeborene dort vor Jahresfrist im Gedenken der einstmals freien Stadt Großauheim setzten. Landete endlich auf dem gepflasterten Platz, den das Auheimer Wappen mit Mainzer Rad und Pilgermuscheln ziert. Alles schien wie immer. Doch halt! Was war das?
Gut getarnt und kaum sichtbar, inmitten wuchernden Grünzeugs und blühender Rabatten: stabile Holzpfosten. Fest eingerammt in das Herz Großauheims, den Rochusplatz. Und zwischen den Pfosten: Stacheldraht, doppelreihig gespannt! Ein Drahtverhau wie aus längst vergangenen, finsteren Zeiten. Da half kein ungläubiges Augenreiben: eine Maginot-Linie mitten in Großauheim, eine Miniatur-Zonengrenze. Fehlt nur noch, daß im Dickicht der Anlage Tretminen verbuddelt sind. Es war mir schon immer ein Rätsel, wo die Hanauer Straßenreinigung nach Abschluß der bewegenden „Scheiß-Stadt“-Aktion die vielen ordnungsgemäß im Rathaus abgegebenen Hundehäufchen entsorgt hat. Hier natürlich! Für Großauheim immer nur das Beste.
Vielleicht haben wir es bei dem Rochusplatz-Stacheldraht-Limes aber auch mit einer neu errichteten Grenzbefestigung wider Bayern und Krotzeborscher zu tun. Großauheim als letztes ernstzunehmendes Bollwerk vor der hessischen Landesgrenze! Aber trotzdem, liebe Hanauer Verantwortlichen, so es denn welche gibt: Dieser Drahtverhau ist übertrieben martialisch und dabei gefährlich für Mensch und Tier, sollten sie einmal vom rechten Wege abkommen. Auch unter militärischen Aspekten ist der Stacheldrahtzaun völlig sinnlos. Kann er doch an beiden Seiten umgangen werden.
Was also hat man vor mit Großauheim, wer soll hier wovor geschützt werden? Unschuldige Pflanzen vor dem groben Schuhwerk einiger austretender Rochusplatztrinker und jugendlicher Platzhirsche? Na, ich weiß nicht. Mir scheint das übertrieben. Da donnern wirklich Kanonen gegen (Dreck-)Spatzen. Ihr Hanauer Gewaltigen: rüstet ab, macht Großauheims Zentrum wieder zur entmilitarisierten Zone! „Mrs. Haertel: tear down this zaun!“, damit sensible Großauheimer wieder friedlich schlafen können. => zurück zur auswahl

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